Schwieriger Markteintritt in Indien: Darum wäre Dr. Oetker beinahe gescheitert
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Im Jahr 2007 wagte sich das deutsche Unternehmen Dr. Oetker mit seinen Backmischungen in den indischen Markt. Obwohl der erste Test erfolgversprechend erschien, wurden die Topseller in Indien zu Ladenhütern. Dr. Oetker stand vor einer schwierigen Entscheidung: Indien verlassen oder sich neu erfinden.
Von Topseller zu Ladenhüter: Darum floppten die deutschen Backmischungen in Indien
„Der Start von Dr. Oetker in Indien verlief alles andere als reibungslos“, erzählt Oliver Mirza, der mittlerweile seit mehr als 12 Jahren CEO von Dr. Oetker in Indien ist. „Die Idee war, über einen Importeur unsere meistverkauften Produkte – Tiefkühlpizzen, Desserts und Backwaren – nach Indien zu bringen.“
Um sicherzustellen, dass eine Nachfrage nach diesen Produkten besteht, führte das Unternehmen, wie überall auf der Welt, einen Produkttest durch. Dafür stellte Dr. Oetker 250 Haushalten zwei Schachteln Kuchenmischungen, einen Käsekuchen und eine traditionelle deutsche Schwarzwälder Kirschtorte zur Verfügung. Sie baten die Testpersonen, die Produkte zu Hause zu testen.
Oliver Mirza erzählt vom überraschenden Ausgang dieses Produkttests: „Bei der anschließenden Befragung waren alle 250 Teilnehmer von unserem Produkt begeistert und wir dachten, wir hätten ein Erfolgsrezept in der Hand. Später stellten wir jedoch fest, dass keiner der Teilnehmer Hüttenkäse oder Frischkäse für die Backmischung kaufen konnte, da diese Produkte in Indien nicht erhältlich sind. Außerdem hatte nur eine Handvoll zu Hause einen Backofen. Ob und wie sie das Produkt testen konnten, ist uns immer noch ein Rätsel, aber alle bewerteten das Produkt mit der höchsten Punktzahl.“
Ein spezifisches Produkt für indische Verbraucher
Aber nicht nur die Kuchenmischungen waren ein Desaster. „Wir waren mit all unseren europäischen Produkten zu früh. Es gab noch keinen Markt für Tiefkühlpizza, nicht einmal in den großen Städten wie Mumbai, und die Leute verstanden die Idee einer Backmischung noch nicht“, erklärt Mirza.
„Zum Beispiel ist unsere Vanille-Milchshake-Mischung eines unserer beliebtesten Produkte in Europa, aber in Indien war sie ein echter Flop. Ich dachte, das läge zum Teil daran, dass darin keine echte Vanille enthalten war. Also beschlossen wir, diese Zutat hinzuzufügen. Dadurch gingen die Verkäufe des Produkts jedoch noch weiter zurück, weil die Käufer dachten, es sei Staub in der Mischung,“ so Mirza.
Dr. Oetker hatte nun zwei Möglichkeiten:
- Sie konnten den Verbrauchern den Umgang mit den Produkten beibringen und hoffen, dass deren Popularität steigt oder
- diese Strategie aufgeben und etwas Neues ausprobieren.
Es wurde Option zwei. Mirza erzählt: „Wir suchten nach einer Akquisition im Bereich Komfortlebensmittel und landeten 2008 bei Fun Foods, einem kleinen Hersteller von Mayonnaise und Pizzabelägen. Gemeinsam lernten wir langsam den indischen Verbraucher kennen und erkannten, dass wir unsere europäische Erfahrung über Bord werfen mussten. Unsere Prinzipien gelten einfach nicht für Indien, weil der Markt hier so einzigartig ist.“
Glücklicherweise ist Dr. Oetker eine dezentrale Organisation, die den Tochtergesellschaften im Ausland große unternehmerische Freiräume lässt. So konnte das indische Team kreativ sein und in einen neuen Sektor vordringen, nämlich Saucen, und so auf die Vorlieben und Anforderungen der indischen Verbraucher eingehen.
Dr. Oetkers Indien-Strategie
Bevor der indische Soßenhersteller Fun Foods Teil von Dr. Oetker wurde, erzielte das indische Unternehmen einen Umsatz von rund 1,5 Millionen Euro. Zwölf Jahre später verdreifachte sich der Umsatz auf rund 4 Millionen Euro im Jahr 2020.
Um dies zu erreichen, konzentrierte sich Dr. Oetker auf eine zweiteilige Indien-Strategie:
1. Marktlücke schließen
Als Dr. Oetker Fun Foods übernahm, war das Unternehmen auf Mayonnaise spezialisiert. Das war 2008 noch ein sehr kleiner Markt mit einem Wert von einer halben Million Euro. Fun Foods verkaufte zwei Arten von Mayonnaise, eine mit und eine ohne Eier.
In Indien ernähren sich fast 40 Prozent der Bevölkerung vegetarisch und essen im Gegensatz zu Europa auch keine Eier. Allerdings war die Mayonnaise ohne Ei nicht unbedingt für Vegetarier geeignet, da sie in der gleichen Fabrik wie die normale Mayonnaise hergestellt wurde und daher Spuren von Ei enthalten konnte.
„Deshalb beschlossen wir, eine spezielle Veggie-Mayonnaise-Linie zu entwickeln, und sie fand sofort Anklang. Es beweist einmal mehr, dass es ohne Kenntnis des indischen Verbrauchers schwierig ist, ein erfolgreiches Produkt für diesen Markt zu entwickeln,“ erklärt Mirza.
2. Intelligenter Vertriebsaufbau
Nach der Suche des richtigen Produkts lautete die nächste Frage: Wie erreichen wir den Verbraucher? „Bei der Distribution gibt es zwei Strategien, die häufig zum Einsatz kommen“, erklärt Mirza. „Es gibt große Unternehmen wie Britannia oder Nestlé, die auf Massenvertrieb setzen und ihre Produkte in etwa der Hälfte aller Geschäfte, etwa fünf Millionen, in Indien anbieten.“
„Dann gibt es Importeure, die sich auf den Nischenvertrieb konzentrieren und in 5.000 Filialen verkaufen. Für Dr. Oetker haben wir uns für eine Zwischenlösung entschieden: wir wurden ein Massenvertriebshändler in unserer eigenen Nische. Wir sind in rund 100.000 Geschäften in Indien vertreten und haben mit unserem Vertriebsteam eine Benchmarking-Strategie entwickelt, um festzustellen, welche Filialen hinsichtlich der Kundschaft zu unseren Produkten passen,“ erklärt Mirza.
Die Regel von Dr. Oetker lautet: Wenn der Händler Nutella verkaufen kann, gibt es auch einen Markt für Dr. Oetker.
Oliver Mirza spricht über die größten Schwierigkeiten beim Vertrieb in Indien: „Die Suche nach diesen Standorten in Indien ist jedoch eine echte Herausforderung. Es gibt keine Daten zu den möglichen Verkaufsstellen, in denen Sie Ihr Produkt anbieten können. Sie benötigen also ein Vertriebsteam, das seine eigene Datenbank aufbauen kann und den Markt gut genug kennt, um neue potenzielle Absatzmärkte zu identifizieren.“
Chancen für europäische Luxusprodukte in Indien
Schon vor der Pandemie waren Produkte, die das Kochen vereinfachen, sowie verzehrfertige Lebensmittel in Indien auf dem Vormarsch, weiß Mirza. „Aber die Lockdowns haben diese Entwicklung beschleunigt. Das ist für westliche Produzenten interessant, da unsere teuren Produkte oft gut in dieses Marktsegment passen.“
Aber es ist auch eine Herausforderung, schnell auf diese Trends zu reagieren. Dr. Oetker India arbeitet eng mit großen Fast-Food-Ketten wie Pizza Hut und Domino’s Pizza zusammen.
„Für Europäer mag das verrückt klingen, aber in Indien ist es normal, Soße wie Mayonnaise auf die Pizza zu geben. Durch die Zusammenarbeit mit anderen Big Playern entdecken Sie solche Chancen für Ihr Produkt und können voneinander lernen, wenn es um neue Trends geht,“ fasst Mirza seine Erfahrung zusammen.
Profitieren Sie vom E-Commerce-Boom in Indien
Darüber hinaus löste die Pandemie auch in Indien einen E-Commerce-Boom aus. Die indischen Verbraucher bevorzugen inzwischen die Lieferung an die Haustür: von Lebensmitteln bis zur Bestellung von Fertiggerichten. Und das war auch für Dr. Oetker ein wichtiger Wendepunkt.
„Unternehmen müssen in Indien genauso digital versiert sein wie in Europa. Bei Dr. Oetker haben wir beispielsweise einen eigenen Online-Shop eröffnet, um den Kunden bestmöglich bedienen zu können. Vor allem in den Metropolen sieht man in diesem Bereich wirklich eine rasante Entwicklung.“
Oliver Mirza gibt anderen europäischen Unternehmen folgenden Ratschlag mit auf den Weg: „Denken Sie nicht, dass Sie in aller Ruhe eine digitale Niederlassung Ihres Unternehmens in Indien aufbauen können. Der indische Kunde will diesen Service jetzt. Als Unternehmen müssen wir damit schritthalten.“
Denken Sie über einen Einstieg in den indischen Markt nach? Unsere erfahrenen Indien-Experten beraten Sie gern zu allen Möglichkeiten sowie zu den möglichen Rechtsformen in Indien und steuerlichen Anforderungen.